88 Hans - Dasein

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88 Hans

 
Hans war nicht das was man als erfolgreich ansah oder als solches erkannte oder benannte. Er war, noch immer nicht angekommen.  
Er war noch auf dem Weg. Obgleich es in ihm brannte, gloste es nur unmerklich dahin. Kein wirkliches Ziel. Kein Feuer, das in ihm
etwas entfachen konnte. Nicht einmal was im fehlte konnte er sagen, wenn auch nur für sich allein. Denn an andere an die er sich
wenden könnte, fragend oder auch nur lamentierend, gab es für ihn nicht. Eingesperrt zwischen den Wänden, wo immer sie sich
auch befanden. Eingesperrt auch ohne sichtbare Wände. Selbst der Boden auf dem er stand oder den er schrittweise kurzfristig
in Besitz nahm, erschien ihm immer unsicher und Furcht einflößend, wie ein Gerüst in schwindelnder Höhe. Was in wirklich trug,
woran er hang, wie an einem baumelnden Seil, war das Gefühl von ……. etwas, das ihn hielt, nicht fallen ließ.

Trotz aller Zweifel, trotz aller Verlassenheit, trotz …… dem, stand er täglich auf. Den Ablauf des Tages, die bekannten Stationen,
die sich wiederholenden Zeitabschnitte bis zum Abend, bis zur wandfreien Nacht, überbrückend in gewohnter Unauffälligkeit.
Der Weg zur Arbeit wie in Trance. Manchmal durchbrochen von einem Lächeln von der Plakatwand.  Von der Berührung, die
sich aus geschoben oder angerempelt werden rekrutiert, rekrutenhaft eingereiht in den Strom,  der ihn ans tägliche Ziel beförderte.
Ein Ort an dem er seine Zeit verbrachte und auch wirklich zu funktionieren schien.  Ja, er füllte sie aus, diese Funktion, diese Aufgabe,
wie ein Programm das gut geschrieben nur manchmal durch das Aufblinken eines unerwarteten „Error“ gestoppt werden konnte.
Es erfüllte ihn schon mit einer Art Genugtuung, mit einer Ahnung von Sinnhaftigkeit, wie ein Schluck kühlen Wassers in der Mittagshitze.
Aber zugleich fühlte der die Wüste in sich. Dieses unwirtliche Innere, dessen unstetige Dünen keinerlei Sesshaftigkeit von Gefühlen zu ließ.
Zumindest nicht Regungen, die er selbst in sich zulassen konnte. Er war doch ein Mensch mit allen seinen Bedürfnissen, wie jeder andere.
Aber er  fühlte sich trotzdem so anders. Nicht unbedingt ausgestoßen, nicht wirklich abgelehnt, - vielleicht wäre das die Rettung , die ihn
anstacheln, aufrütteln, beleben konnte. Nicht von den andern wahrgenommen zu werden, war viel schrecklicher für ihn.
Dieses sich eingefügt ins Räderwerk der Maschinerie zu spüren, dieses Untergehen in der Masse.  Ablehnung wäre wohl  niederschmetternd,
aber zumindest ein Heraustreten aus der Anonymität.  -

Heimwärts, wie jeden Tag, „ins Heim“ war wie ein Synonym fürs bestrafende Abgeschoben sein, wie es Jugendlichen widerfährt, wenn
man nicht mehr mit ihnen weiter weiß. Das Leben ging weiter, er daneben.
Das Schloss zu seinem Verlies im vierten Stock war sein Ziel. Er ging immer zu Fuß, vermied den Lift, einerseits um für sich zu sein,
mit seinen Gedanken, die das einzige Zwiegespräch seines Abends sein würden. Und gleichzeitig gab es ihm die Gelegenheit,
noch etwas von der Welt, von einer unbekannten Freiheit einzuatmen, bevor er in seine stickige, dunkle und doch vertraute,
für ihn sichere Zuflucht trat. Wie immer der Griff in die Manteltasche, nach dem Zauberschlüssel, den Öffner für sein Reich,
sein zweites Leben. Hastig der Stoß in Schloss, aber es gab kein sich Einfügen ins Gewohnte, es sperrte sich das Werkzeug
der Befreiung, widersetzte sich nochmaligen Versuchen, ließ ihn keuchen in Verzweiflung.  Sein Schlüssel passte einfach nicht.

Wieder stand er vor einer Wand die unüberwindbar und aussichtslos, sein Inneres aufwühlte und ihn zugleich gefangen hielt.
Noch einmal startete er einen Angriff auf seinen Widersacher , der aber nicht nachgab. Ausgesperrt von sich selbst, von seiner Insel
vertrieben und ins uferlose Nichts gestürzt. Wie unbekannt erschien ihm plötzlich der Gang, der Pfad, der ihn täglich zu seiner Schutzhütte
geführt hatte. Oben am Gipfel und keine Aussicht auf Einlass, kein Schutz vor der kalten Welt. Erschöpft, vom Tag und von der
Vorahnung der sich anbahnenden Ungewissheit ließ er sich auf den Stufen nieder.
Die Nässe, des vom Regen durchtränkten Hutes suchte fast mitfühlend ihren Weg von der Stirn an den Augenwinkeln vorbei, als
wären es Tränen. Seufzend kehrte Ruhe ein. Der Kopf, der Blick gesenkt, die Arme auf die Knie gestützt.  -

-„ Na, müde von der Arbeit,“  ließ ihn eine ihm unbekannte Stimme aufschauen, - „wohl nicht mehr in den 4. Stock geschafft,  - ich bin’s ,
der Nachbar aus dem 3. Stock unter Ihnen,  - kommen Sie, Sie erkälten sich ja noch, - wie wär’s mit einem heißen Tee, mit Rum wohlgemerkt.
Hans ergriff die ihm entgegen gestreckte Hand.

P.K.
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