6 Zimmer mit oder ohne Aussicht
Zimmer mit oder ohne Aussicht
Ein komfortables Zimmer, geräumig, mit Balkon und Aussicht ins Grüne. Ein Bücherschrank voller Erinnerungen, Bilderalben, von Reisen, Lebensrückblicken, auch auf viele arbeitsreiche Jahre. Sportliche Erfolge gekrönt von Pokalen, mit etwas Staub bedeckt, nunmehr in unerreichbare Höhe entrückt, Zeugen vergangener Zeiten, von unten betrachtet, herabsinkend auf die Höhe eines großrädriges Gefährtes, Rollstuhl genannt.
Gut versorgt, mit pflegerischem und ärztlichen Beistand, pünktlich das Essen, das den Tagesablauf bestimmt. Die Verbindung zur Welt täglich suchend über die Tageszeitung, auch etwas im Gespräch mit den Schicksalsgenossen. Viel Altes, und doch manchmal Neues dabei, da doch jede Lebensgeschichte etwas anders, irgendwie wieder verwandt und letztlich doch fremd anmutend, - hin und wieder durch einen Besuch durch Kinder oder Enkel der andern bestätigt.
Die Nachrichten im Radio und im Fernsehen vermitteln etwas das Gefühl, dass die Zeit doch nicht still steht, in ihren ewigen täglichen Wiederholungen, welche einem sich im Kreis drehen ähneln, einem Fort-Wollen und nicht Können, einem Eingesperrt-Sein bei offenen Türen.
„Wollen Sie nicht etwas an die frische Luft“ lautet oft die Aufforderung, aber da draußen auf der Terrasse immer wieder dieselben Menschen, außer es stirbt jemand und ein Platz wird frei. Absurd und doch so natürlich diese Abwechslung der Natur. – Macht aber nicht gerade Hoffnung.
Man ist bemüht, das „Leben“ in Gang zu halten, man wird beschäftigt, mit Bastelarbeiten, - manche versuchen das erste Mal in ihrem Leben der Leinwand mit dem Pinsel Buntheit und Formen zu entlocken, das Weiß zu vertreiben, und damit die Eintönigkeit.
„Bewegung mit Musik“ steht auch manchmal auf dem Programm, selbst mich bewegt das noch. Es spielt sich halt viel im Kopf, in den Gedanken ab. Phantasie ist gefragt, - aber nicht zu viel, weil das könnte wieder auf einen zurückfallen, im bewusst werden, was man alles nicht mehr kann.
Die Gedanken um das Altwerden waren zwar nicht von heute auf morgen gekommen, sie waren schon länger ständige Begleitung, aber man schiebt halt vieles im Leben hinaus, bis es dann doch sein muss.
Es braucht Zeit, immer größer werdende Abhängigkeit zu akzeptieren und gleichzeitig sich nicht selbst aufzugeben. Alles wird kleiner, die Zahl der Möglichkeiten, ja selbst der Raum zum Leben, die Aussicht auf die Zukunft verkürzt sich auf die nächste Mahlzeit vielleicht noch den nächsten Tag. Aber das hat auch irgendwie ihr Gutes, ist wahrscheinlich notwendig, da die Uhren des Alters anders gehen.
Eine Zeit lang war es auszuhalten, es war halt Veränderung und einiges an Veränderung hatte es ja in meinem Leben schon gegeben, aber dann zerfraßen der tägliche Trott, die Einsamkeit, innen und außen und ein Gefühl von Hilflosigkeit, Sinnlosigkeit das Ich, es verschwand, in einer Anonymität von Anonymitäten, erwachte, döste und schlief. Und das dauerte eine Zeit lang so fort, ein Ende in Sicht, ohne Ende.
Dann hörte ich im Radio zufällig ein paar Zeilen, die zwar mit „Auch wenn alles endet“ begannen, für mich aber einen neuen Anfang bedeuteten, - nicht dass ich mit einem Schlag genesen gewesen wäre, und nur mehr alles mit der rosa-roten Brille sah, - aber ich raffte mich langsam wieder auf, -innerlich - nachdem ich über die Leitung des Pensionistenheimes den Text auch auf Papier zu lesen bekam. Ich machte es mir zur Gewohnheit, meinen Morgen mit dem Lesen dieser Zeilen zu beginnen, und den Abend zu beschließen.
Ich, ja ich sagte und dachte wieder Ich, hatte es etwas gefunden, was mir etwas wie eine Stütze war, das mich wieder an etwas glauben ließ, - nicht im herkömmlichen Sinne, wie an einen Gott glauben, das war nie das Meine gewesen, und doch spürte ich, dass es mir Kraft gab, in die Zukunft zu blicken, mit einem Gefühl von Zuversicht, egal, wie weit oder kurz dieser Blick auch reichte.
So lange es ging rollte ich nun wieder selbst auf die Terrasse, zu meinen Mitbewohnern, wie ich sie nun nannte, im Gegensatz zu früher, als ich uns alle als Heiminsassen bezeichnete. Wohnen, das hat so etwas mit Zuhause zu sein zu tun, dem Geborgen-Sein sehr nahe.
Jetzt schieben mich ab und zu Zivildiener oder angehende Pflegehelferinnen ins Freie oder sogar durch den nahegelegenen Park. Man könnte fast sagen, wir gehen spazieren, - und sie hören mir zu, und ich höre ihnen zu. Und manchmal zeige ich ihnen „meine“ Zeilen, die ich immer bei mir habe:
auch
wenn alles endet
alles sich wendet
so atmet
doch alles den Hauch
der Ewigkeit
und jeder Augenblick
jede Begegnung
ist ein Leben
für sich,
eingebettet
in den Sinn
der uns alle umfängt
und behütet –
die Freude am Heute
am Jetzt,
und nicht allein
zu sein,
stärke unseren Glauben,
unsere Hoffnung,
unser Vertrauen,
die Liebe
wird
das Ihrige tun
P.K.